Life is a Game

Tencent, Sony, Nintendo, EA: Die grossen Gamingstudios der Welt befinden sich alle in China, Japan und den USA. Ausgerechnet in Zürich, wo es kein Ökosystem für Computerspiele­produzenten gibt, haben zwei Schweizer 2017 beschlossen, ihr eigenes Gamingstudio zu gründen. Wie und warum sie es wider alle Erwartungen geschafft haben, mit ihren Computerspielen erfolgreich zu werden, erzählen die Okomotive-Gründer Don Schmocker und Goran Saric im Gespräch mit Forbes.

Laut einer Schätzung von Newzoo spielen jährlich etwa 3,5 Milliarden Menschen Videospiele. Im Jahr 2023 wurde der Umsatz der gesamten Gaming-Industrie auf 184 Mrd. US-$ geschätzt. Etwa die Hälfte dieser Einnahmen stammt aus mobilen Spielen, während Konsolenspiele 29 % und PC-Spiele 22 % ausmachen. Dieser Markt ist international äusserst attraktiv, auch für grosse Tech-Unternehmen: Microsoft ­erwirtschaftet etwa 10 % seiner Einnahmen im Spielebereich, während es bei Sony sogar 32 % sind. Zu den ­beliebtesten Genres gehören Actionspiele, die First-Person-Ego-Shooter und Kriegssimulationen umfassen, sowie Rollenspiele, taktische Spiele und andere Simulationen.

«Far: Lone Sails», das erste Spiel des Schweizer Gamingstudios Okomotive, passt in keine dieser Kategorien: Als Pilot eines einzigartigen Fahrzeugs navigiert der Spieler durch eine postapokalyptische Welt, durchquert verschiedene Umgebungen und überwindet Hindernisse. Dabei sammelt er Ressourcen wie Treibstoff, um das Fahrzeug in Bewegung zu halten, und führt notwendige Wartungen und Reparaturen durch. Der Spieler erkundet die Umgebung, entdeckt versteckte Bereiche und sammelt nützliche Gegenstände, während er sich mit verschiedenen Aufgabenstellungen auseinandersetzt.

«Ich wollte ein Spiel entwickeln, das nicht nur schön anzuschauen ist, sondern ein spannendes Gameplay hat und die visuelle Erzählweise betont», erklärt Okomotive-Co-Gründer und Art Director Don Schmocker. Die Ursprünge von «Far: Lone Sails» – und damit auch von Okomotive – reichen bis ins Jahr 2017 zurück, als die beiden Gamedesign-Studenten Schmocker und Goran Saric beschlossen, Schmockers Bachelorarbeit «Far» in ein vollwertiges Computer­spiel zu verwandeln. «‹Far› hat schon bei meiner Bachelorarbeit viel Aufmerksamkeit erregt. Die Leute waren begeistert und haben uns er­mutigt, das Spiel tatsächlich zu entwickeln», erinnert sich Schmocker. So entschieden sich die beiden Freunde, Schmockers Idee eines Computerspiels in die Realität umzusetzen und gleichzeitig ein eigenes Unternehmen zu gründen.

Was für Aussenstehende wie ein gewöhn­licher Karriereweg für Gamingdesign-Absolventen aussieht, war für Schmocker und Saric eigentlich ein riskantes Unterfangen. «Es gibt in der Schweiz keine grosse Gamingszene. Die meisten Absolventen gehen zu Grafikagenturen, arbeiten beim Fernsehen oder als Designer. Bis heute gibt es nur wenige Studios in der Schweiz, die Entertainment-Spiele produzieren», erzählt Saric. Während Schmocker im Unternehmen die Rolle des Art Directors einnimmt und von Saric als «kreatives Genie» bezeichnet wird, interessiert sich Saric als Managing Director mehr für den technischen Aspekt von Computerspielen. Vor seinem Studium in Game Design an der Zürcher Hochschule der Künste absolvierte er eine Lehre als Informatiker. Dass die beiden letztendlich als Unternehmer und Gründer enden würden, war auch im Nachhinein betrachtet für die beiden nicht selbstverständlich: «Wenn du wirklich Spiele entwickeln willst, machst du das entweder selbstständig auf Auftragsbasis, gehst zu einem grossen Studio ins Ausland oder gründest dein eigenes Unternehmen. Letzteres zu machen war für uns am nahe­liegendsten», so Saric.

«Ohne Namen war es am Anfang sehr schwierig, an Geldgeber zu kommen.»

Don Schmocker

Aufgrund des fehlenden Gaming-Ökosystems in der Schweiz hatten die beiden Gründer insbesondere in den ersten Monaten mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. «Ohne Namen war es am Anfang sehr schwierig, an Geld­geber zu kommen», erinnert sich Schmocker. Doch nach langer Suche hatten sie schliesslich Glück und konnten einen Deal mit dem deutschen Medienverlag Mixtvision abschliessen, ­wodurch sie ihren ersten Praktikanten bezahlen konnten. «Der Praktikant hat dann einen besseren Lohn bekommen als wir», sagt Saric lachend. Aus diesem Grund hatten die Gründer in der ersten Phase auch Nebenjobs: «Wir haben am Anfang sehr viel improvisiert», erzählt Schmocker.

Eine weitere Unsicherheit für Schmocker und Saric bestand darin, nicht zu wissen, ob «Far: Lone Sails» nach seiner Fertigstellung ein ­Erfolg sein würde. «Wir wussten, dass wir bei ­einem Misserfolg von ‹Lone Sails› weder die Nerven noch das Kapital hätten, um ein weiteres Spiel zu entwickeln. Der Druck war definitiv gross», erklärt Saric. 2018 war es dann so weit – «Far: Lone Sails» wurde für den PC veröffentlicht. Am Tag der Veröffentlichung schaffte es das Spiel ­sogar auf die Startseite des internationalen Online-Spielemarkts Steam. Die Veröffentlichung war also ein Erfolg für das kleine Gamingstudio aus der Schweiz. «Vor dem Release hatten knapp 50.000 Menschen unser Spiel auf ihrer Wunschliste auf Steam, was in der Gamingindustrie damals ein möglicher Indikator dafür war, ob ein Spiel ein Flop wird oder nicht», so Saric.

2019 wurde das Spiel auf die PS4, die Xbox One und die Nintendo Switch portiert, ein Jahr später folgte die Veröffentlichung als Mobile Game im App- und Google-Play-Store. Insgesamt wurde das erste Okomotive-Spiel über eine Million Mal verkauft. Der Erfolg von «Far: Lone Sails» ermöglichte es Schmocker und Saric, das Team zu erweitern, sodass sie heute neun Mit­arbeiter beschäftigen. «Die Verkäufe und die ­Veröffentlichungen auf verschiedenen Konsolen haben uns ein stabiles Einkommen verschafft, mit dem wir unser Team aufbauen und anfangen konnten, an einem weiteren Spiel zu arbeiten», berichtet Saric. Der Erfolg von «Lone Sails» zeigte sich nicht nur in den Verkaufszahlen, sondern auch in den zahlreichen Auszeichnungen, die das Spiel erhielt: So gewann es unter anderem 2018 den Deutschen Entwicklerpreis für das beste Game­design, 2019 den Swiss Game Award und 2020 den «TapTap-Preis» für das beste Indie-­Game.

Im Jahr 2019 begann das Team um Saric und Schmocker mit der Entwicklung des neuen Spiels «Far: Changing Tides». Dabei konnte das ­Studio den britischen Spieleentwickler ­Frontier Developments als Publisher gewinnen. «Wir wollten uns von der eher trostlosen Landschaft von ‹Lone Sails› verabschieden und bei ‹Changing ­Tides› mehr den Aspekt Wasser integrieren. ­Dennoch haben wir bewusst auf typische Meer-­Klischees wie Palmen und einsame Inseln verzichtet. Die Landschaft ist eher rau und kalt», erklärt Schmocker. Saric betont zusätzlich, dass ‹Changing ­Tides› mehr als nur ein Sequel mit einer anderen Umgebung sein soll. Das Team von Okomotive hat viele neue Spielmechaniken und Handlungsstränge entwickelt, um das Spiel zu ­erweitern und zu vertiefen: «Wir hatten bei unserem zweiten Spiel einfach ein viel grösseres Team, was dazu geführt hat, dass wir auch an vielen neuen Ideen arbeiten konnten. ‹Changing Tides› ist unter anderem deswegen auch um einiges grösser und aufwendiger geworden», so Schmocker.

Doch auch wenn Saric und Schmocker bei der Entwicklung ihres zweiten Spiels schon die Erfolge von «Lone Sails» in ihrem Portfolio vorzeigen konnten, hatten die beiden Gründer wieder Probleme bei der Suche nach Investoren: «Ich vergleiche die lästige Geldsucherei gerne mit Onlinedating: Man bekommt immer nette Nachrichten, man weiss nie genau, woran man ist, und viele Leute ghosten einen danach», so Saric lachend.

Heute haben Saric und Schmocker bereits ein neues Projekt auf dem Tisch. Viele Details können sie noch nicht preisgeben, sie versichern aber, dass es sich um etwas völlig Neues handeln wird. «Seit 2017 haben wir praktisch nur an den ‹Far›-Spielen gearbeitet. Das ist eine lange Zeit, die man mehr oder weniger mit derselben Sache verbringt. Am Ende unseres zweiten Spiels haben wir ein wenig den Drive am Entwickeln verloren. Deshalb wagen wir uns mit unserem neuen ­Projekt in neue Gefilde», erklärt Schmocker. Bei diesem neuen Projekt arbeitet Okomotive mit ­Panic Games, den Schöpfern von «Untitled Goose Game» und «Firewatch», zusammen.

Ob Okomotive in den nächsten Jahren weiter wachsen soll, lassen die beiden Gründer offen. «Wir sind froh, dass wir jetzt ein stabiles Team haben, das angemessen entlohnt wird. Natürlich ist Wachstum schön, aber wir möchten nicht zu schnell zu gross werden. Unser Fokus liegt darauf, Spiele zu entwickeln, die uns Spass machen und etwas Besonderes sind», erklärt Schmocker.

Don Schmocker und Goran Saric sind der Art- und der Managing-Direktor von Okomotive. Die beiden gründeten das Schweizer Gamingstudio 2017 und entwickelten in den letzten sieben Jahren die beiden Spiele «Far: Lone Sails» und «Far: Changing Tides».

 

Fotos: Okomotive

Lela Thun,
Redakteurin

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