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Herz-Ober

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Textdaten
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Autor: G. Kunkler
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Titel: Herz-Ober
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 28, S. 480–482
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Herz-Ober.

Der Mai war gekommen. Alles Leben fing an sich zu regen. Die Bäume, der Wald, Wiese und Berg hatten sich in junges durchsichtiges Grün gehüllt, der Flieder zeigte die ersten duftenden Blüthen, an den Hecken barg sich hinter Dornen das zarte Röslein, indeß unten im Thale die Obstbäume schon in voller Blüthe standen.

Auch die Spaliersprößlinge an des Tannenbauern Haus auf der Südseite wetteiferten mit ihren freien Vettern drunten im Thal und zeigten Blüthe an Blüthe, und selbst die alten Tannen zur Seite des stattlichen Hofes hatten ein neu Gewand über das alte angezogen. Vor den schmalen Fenstern prangten Geranien und Fuchsien in brennendem Roth, so daß der Bauernhof im wunderhellen Sonnenglanz aussah wie ein geschmückter Bräutigam, der zur Brautschau bereit ist. Drin in der Küche schaltete das jüngste Töchterlein, die blonde Marei, am Herd, indeß die Resei und Vreni mit dem Abwaschen des Geschirres vom Mittagessen sich beeilten.

„So gut wie heut’ treffen wir’s nimmer,“ hatte die älteste und klügste (wie sie glaubte), die Resei gesagt, nachdem die Eltern zu einem Besuche in die Stadt vom Hof gefahren waren. „Der Knecht ist auf die Kirchweih ’nüber und die zwei Mägd’ dürfen auf des Leimbauern Elis ihre Hochzeit – heut’ muß die alte Urschel her und uns Karten legen.“ Das hatte die Resei gesagt und war selbst vor Tisch hinüber geeilt zur halbzerfallenen Hütte der alten Urschel, die ihren Besuch bis um zwei Uhr zugesagt. „Sie soll aber ja die Karten nicht vergessen,“ hatte ihr Vreni noch nachgerufen.

Ein guter Kaffee ist unerläßlich zur Erzielung glücklicher Prophezeiung, und so nahm denn Marei zu dem Gebräu etwas mehr Kaffeebohnen, als die Bäuerin selbst an Festtagen je genommen, in der Meinung, die wohlthuende Wirkung des guten Kaffees müsse einen ebenso wohlthätigen Einfluß auf das nachfolgende Orakel ausüben.

Marei war jetzt so still, ganz gegen ihre Art, und erst vor Tisch hatte sie noch ihre Schwestern ausgelacht und gespottet über ihre Neugierde, einen Blick in die verhüllte Zukunft zu wagen. Wie oft hatte sie gelacht über Resei, die (ein öffentliches Geheimniß) mit dem Müllerfranz auf gutem Fuße stund, und wie viel mußte ’s Vreni unter ihrem Spotte leiden, wenn sie in Verzweiflung gerieth, so oft der Vetter Seppl ein ander Mädel anguckte. „Ich bin froh und frei,“ sagte die Marei, „und kümmere mich den Kuckuck um eure Mannsbilder, die einem nur den Kopf verdrehen und uns hinterher auslachen.“

Jetzt stand sie am Herde und schaute in die brausende schäumende Pfanne und tausend Gedanken flogen ihr durchs kleine Köpfchen, und alle drehten sich um einen blonden Lockenkopf mit grünem Jägerhut. Ja, der Mai ist gekommen und alles fängt an, sich zu regen und zu blühen, und tief innen im keuschen Mädchenherz ruht der Keim der Liebe und harrt der warmen Sonnenstrahlen aus dem Auge des Rechten, um aufzublühen und zu wachsen zum Baume der wahren Treue und Ergebenheit, oder jäh abzuknicken, wenn ein rauher Sturm oder ein Blitz aus dunklem Himmel die noch zarte Pflanze vernichten soll.

Daran dachte ’s Marei nicht. Wohl aber des herrlichen Sonnenunterganges von gestern, als es am Waldrande entlang schritt, den Schwestern entgegen, die oben auf der Wengeralp die Hütte für den sommerlichen Aufenthalt eingerichtet hatten. Sie guckte der scheidenden Sonne nach, ein Kuckuck rief von ferne und sie zählte die Rufe, um zu erfahren, wie lange Jahre sie noch leben werde – patsch, trat sie bis über den Knöchel in eine sumpfige Stelle und zog mit einem erschreckten Schrei den Fuß heftig zurück, so daß der Schuh in dem Schmutze zurückblieb. Als sie noch überlegte, auf welche Weise sie ihn wieder erlange, ohne die Hände zu beschmutzen, kam nebenan aus dem Gebüsch ein braungefleckter Jagdhund schnuppernd, gefolgt von seinem Herrn. Es mußte der neue Jagdgehilfe sein, ein rosig Gesicht und dichtes braunes Gelock mit grünem Hut, hohe Gestalt und Joppe und Flinte – auf mehr konnte sich Marei nicht besinnen.

Doch ja, als er sagte: „Was ist denn, Jungfer?“ und sie zu ihm aufschaute, sah ein Paar so recht gute (wie sie glaubte) blaue Augen auf sie herunter. Dann lachte er über ihre komische Situation, zeigte dem Hund das untergehende Bekleidungsstück im Sumpf. „Apport, Tiras“ und der treue Begleiter legte ihm den wassertriefenden Schuh vor die Füße. Sie hätte weinen können, wie sie so kläglich vor dem Fremden stund, mit dem einen bloßen Strumpf, und sich anschickte, nach Hause zu gehen mit dem nassen Schuh in der Hand.

„Ach, so geht man nit fort,“ sagte der Jäger, „erst muß ich meinen Dank haben“, und damit legte er den Arm um ihre Taille und neigte sein Gesicht zu ihr nieder. Sie aber schlug ihm mit dem nassen Schuh auf die Hand und entlief, verfolgt von dem fröhlichen Lachen des Burschen.

„Aber Marei, das Wasser siedet ja schon lange,“ rief die Vreni und weckte ihre kleine Schwester aus den Träumen. So wurde der Kaffee fertig, gerade als die alte Urschel, auf ihren Stock gestützt, hüstelnd zur Stube eintrat.

Man konnte sie sonst nicht recht leiden und sie ward gefürchtet, denn sie wußte allerhand Mittel und Zaubersprüche gegen verhextes Vieh, und

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Herz-Ober.
Nach dem Oelgemälde von M. Scholz.

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Der Kaffee war getrunken; die Kaffeetasse und das Gebäck waren abgetragen und der Tisch abgewischt, da zog die Alte ihre Karten aus der Tasche, setzte ihre in Messing gefaßte Brille auf die Nase und guckte darüber weg mit ihren kleinen unruhigen Aeuglein die drei blühenden Mädchen im Kreise herum an.

„Wem soll ich kartenschlagen?“

„Mir, mir,“ riefen die älteren Zwei.

„Wen’s trifft, wir wollen mal sehen,“ sagte die Alte und legte die Karten; ’s Resei mit rothem Gesicht konnte den weisen Spruch nicht erwarten und ’s Vreni stellte sich neben Marei, um von oben besser in die Karten schauen zu können. ’s Marei aber machte ein spöttisch Gesicht, denn sie ging’s doch nichts an.

„Ich seh’ ihn schon,“ sagte die Wahrsagerin „da ist er.“

„Wie schaut er denn aus?“ rief vorlaut ’s Marei.

„Das kommt zuletzt, nur hübsch Geduld. Eichel, Eichel, viel Verdruß; hier kommt ein Grafen, das bringt Hoffnung dem Herz-Unter; schau, schau, der Graszehner, also ein Brief scheint die Sache zu vermitteln, nachdem die Alten nichts davon wissen wollen – Schellen-Ober, aha, er hat Geld; Eichel-Aß, ein großer Verdruß trennt sie noch immer – aber Herz-Ober – sie finden sich und kriegen sich und die Alten sagen Ja und Amen.“

„Ach,“ rief Therese, und ’s Vreni – „wer ist’s denn, wie schaut er aus?“

„Und wer ist der Herz-Ober?“ sagte ’s Marei.

„Wie schaut er aus?“ sagte die Alte; „er ist groß und schön gewachsen, hat blonde Locken und blaue Augen, eine Joppen und ein’ grünen Hut und den Stutzen zur Seiten, (’s Marei war wie verhext – im Herzen drin fing es an zu pochen und das Blut stieg ihr hinauf und weiter in die Wangen, daß sie dunkelroth wurden) und der Herz-Ober – (die Alte nahm ihn in die Hand und sah ihn prüfend an) das bist Du,“ platzte sie heraus, mit dem Zeigefinger auf das verwirrte Marei deutend, die lieber in den Boden versunken wäre, zum Erstaunen ihrer beiden Schwestern.

Diesen Moment hat unser Künstler erfaßt und mit liebevoller Treue auf die Leinwand gebannt. Es ist ein Bildchen aus dem Leben genommen und der Moment erfaßt, wie er wirklich war; denn auch die Geschichte ist wahr und noch nicht zu Ende, und der Maler hat die Stube und die Töchter und die Alte oft gesehen und sie nicht vergessen, wie die treue Wiedergabe in seinem Bilde uns zeigt; und wenn Ihr wissen wollt, wie die Geschichte weiter ging, so weiß es niemand besser als unser Maler, und der wird euch gerne erzählen, daß die Karten der alten Urschel diesmal recht behielten und daß die blonde Marei und der Jägerfranz sich wirklich kriegten.
G. Kunkler.