Hundesprechschule Asra

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Die Hundesprechschule Asra, auch Tiersprechschule Asra, war eine von 1930 bis kurz nach dem Zweiten Weltkrieg bestehende private Hundeschule in Leutenberg in Thüringen. Die Gründerin Margarethe Schmidt brachte ihren Hunden eine Reihe von Kunststücken bei, darunter auch Sprachäußerungen, und ließ sie damit öffentlich auftreten. Die Erwähnung der Schule in einem 2011 in Großbritannien erschienenen populären Sachbuch führte dazu, dass sie kurzfristig größere Beachtung in der (vor allem englischsprachigen) Presse und im Internet fand. Dabei wurde sie in sensationalistisch übersteigerter Weise als Projekt der nationalsozialistischen Kriegführung dargestellt. Für eine tatsächliche Verbindung zu nationalsozialistischen Stellen fehlt jeder Nachweis.

Die „Hundesprechschule Asra“ wurde ab 1930 von Margarethe Schmidt[1], Tochter des Besitzers der Leutenberger Papiermühle, in der Villa Viola betrieben, die sie gemeinsam mit ihrer Mutter und ihren Hunden bewohnte.[2] Benannt war sie nach der angeblich besonders talentierten Deutschen Dogge Asra, deren fünf Welpen und ein später hinzugekommener zugelaufener Terrier die „Schülerschaft“ der Schule bildeten.[3]

Max Müller, damals Direktor des städtischen Veterinärwesens in München und Honorarprofessor an der tierärztlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität,[4] besuchte 1942 Schmidts Hundesprechschule und verfasste darüber einen Artikel in den Tierärztlichen Mitteilungen.[5] Müller war „einer der größten Verfechter der ‚klopfsprechenden‘ Tiere während der 1930er Jahre“ und fest davon überzeugt, dass Hunde zu selbständigem Denken in der Lage seien.[6] In seinem Aufsatz berichtet Müller, dass die Hunde eine Reihe von Worten lautlich wiedergeben und sinngemäß anwenden könnten, dabei jedoch durch die Natur ihrer Sprechwerkzeuge eingeschränkt seien; ferner könnten sie durch wiederholtes Bellen bzw. Betätigen einer elektrischen Klingel Rechenaufgaben lösen, das Datum angeben und Wörter ablesen. Darüber hinaus erwähnt er, dass Margarethe Schmidt Adolf Hitler angeboten habe, „sich mit ihren Hunden für die Zwecke der Wehrmachtsbetreuung zur Verfügung zu stellen“, und von der Kanzlei des Führers eine zustimmende Antwort erhalten habe, und gibt seiner Hoffnung Ausdruck, dass „die Angehörigen der Wehrmacht [der] erteilten Weisung des Führers zufolge Gelegenheit haben [werden], sich vom selbständigen Denken dieser Tiere und ihrer direkten und indirekten Sprechfähigkeit im Rahmen der KdF-Wehrmachtsbetreuung überzeugen [zu] können.“[7] Es gibt jedoch keine Nachweise, dass Schmidt mit ihren Hunden tatsächlich im Rahmen der Truppenbetreuung auftrat.

Die angeblichen Fähigkeiten der Hunde wurden von Schmidt in Leutenberg und Umgebung regelmäßig öffentlich vorgeführt. Während es in einem erhaltenen Kinderbrief von 1944 heißt, die Hunde hätten sprechen und rechnen können und auf Fragen durch Betätigung einer Glocke geantwortet,[2][8] nannte ein Zeitzeuge die Vorführung, die er als Kind im Winter 1945/46 sah, „eindeutig Schwindel“.[9] Eine weitere Zeitzeugin, die als Jugendliche in den 40er Jahren häufig in der Villa Viola zu Besuch war und die Vorführungen mehrmals sah, sprach von „Kunststücken“: Die Hunde hätten weder sprechen („ein langgezogenes Maaamma war das Einzige, das man halbwegs verstehen konnte“) noch rechnen können; es habe sich vielmehr um einen „Trick“ gehandelt, bei dem die Hunde so lange an einem Klotz mit einer Klingel kratzten, bis die gewünschte Zahl erreicht war und sie eine Belohnung erhielten. Margarethe Schmidt und ihre Mutter hätten in diesen Jahren kein anderes Einkommen gehabt als die Einnahmen aus der Hundeschau. In einer Postkarte vom 3. Mai 1943 klagte Schmidt, dass sie kein Futter mehr für ihre Hunde erhalte, weil es sich weder um eine Zucht noch um eine „wissenschaftlich beachtliche Dressur“ handele; dabei seien „Hunde, die tanzen, die Bitte-Bitte machen und ‚Mama‘ sagen“, doch eine wissenschaftliche Leistung. Auf der Vorderseite dieser Ansichtskarte sind die Hunde mit der Unterschrift „Sechs aufmerksame Artisten“ abgebildet.[3][10]

Nach Bekanntwerden der Presseberichte im Jahr 2011 wurde von Zeitzeugen, darunter Margarethe Schmidts Neffe, vehement bestritten, dass Schmidt Verbindungen zum Nationalsozialismus gehabt hätte.[2][3] Örtliche Zeitzeugen beschrieben die unverheiratete „Hunde-Grete“ oder „Hunde-Schmidten“ als „ein bisschen spleenig“[2] oder als „Artistin […] ein schräger Vogel“.[3] Als nach Ende des Zweiten Weltkriegs Flüchtlinge in der Villa einquartiert wurden, löste Schmidt die Schule auf und zog nach West-Berlin, wo sie nach Auskunft ihres Neffen Ende der 1950er oder Anfang der 1960er Jahre starb.[11] Über den Verbleib der Hunde ist nichts bekannt.

In ihrer 2008 erschienenen Dissertation Die „Neue Tierpsychologie“ und ihre wissenschaftlichen Vertreter (von 1900 bis 1945) erwähnt Britt von den Berg unter Berufung auf Müllers Aufsatz von 1943 die Hundesprechschule Asra als „Kuriosität“[12] und stellt sie in den Zusammenhang des großen Interesses an sprechenden, rechnenden oder denkenden Tieren und an Tierpsychologie allgemein, das in Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bestand und ursprünglich durch den Fall des „Klugen Hans“ ausgelöst worden war.[13]

Anfang 2011 veröffentlichte der schwedisch-britische Autor Jan Bondeson das Buch Amazing Dogs: A Cabinet of Canine Curiosities. Im Kapitel Some Canine Intellectuals erwähnt er, gestützt auf von den Bergs Dissertation, kurz die Hundesprechschule Asra.[14] Bondeson vermischt dabei Müllers Bericht mit anderen Berichten über „sprechende Hunde“ aus der Nazizeit und missversteht Müllers Hinweis auf die Truppenbetreuung, den er wie folgt wiedergibt: „Laut Müller hatten Vertreter der Wehrmacht vom ‚Führer‘ Anweisungen erhalten, sich von der Nützlichkeit dieser ausgebildeten Hunde im Fronteinsatz zu überzeugen.“[15] Zudem stellt er die rhetorische Frage, wie solche bizarren Projekte hätten stattfinden können, wenn nicht mit Unterstützung durch das Naziregime, und schließt mit der Frage ab, ob die Nazis versucht hätten, „eine Rasse superintelligenter Sturmtruppenhunde zu entwickeln“, die mit ihren menschlichen Herrchen kommunizieren konnten.

Über diese durch nichts belegten Spekulationen berichtete nach dem Erscheinen von Bondesons Buch die britische Zeitung The Daily Telegraph in ihrer Ausgabe vom 24. Mai 2011.[16] In diesem Artikel wird nicht nur die Hundesprechschule Asra mit ganz anderen „sprechenden Hunden“ in Verbindung gebracht, die Bondeson in seinem Buch beschrieb, sondern auch behauptet, „die Nazis“ hätten eine „Armee von sprechenden Hunden“ aufbauen wollen. Bondeson selbst äußerte gegenüber dem Daily Telegraph, die Hunde seien vom Büro des Reichsführers SS beschafft worden und er vermute, dass sie SS-Offiziere bei der Bewachung von Konzentrationslagern entlasten sollten; allerdings seien diese Pläne nicht zur Reife gelangt. Auch in einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung erklärte Bondeson, dass Hitler führenden SS-Leuten empfohlen habe, sich die Sprechschule anzuschauen und herauszufinden, ob man die Kommunikationstechniken für den Krieg nutzen könne.[17]

In den darauffolgenden Tagen wurde diese Meldung von zahlreichen anderen Presseorganen aufgegriffen und weiterverbreitet, vor allem in der englischsprachigen Welt.[18] Dabei kam es nach dem Prinzip der „Stillen Post“ zu weiteren Entstellungen und Falschmeldungen: In der Hundesprechschule seien die Tiere von „Veterinären und Tierpsychologen“ trainiert worden;[17] Hitler selbst habe die Schule in der Nähe von Hannover gegründet;[19] die Nazis hätten eine Truppe selbständig denkender Kriegshunde aufbauen wollen, die Aufgaben wie Bewachung, Aufklärung und verdeckte Überwachung übernehmen sollten, und zu diesem Zweck seien Nazi-Beamte ausgeschickt worden, um intelligente Hunde für die Schule zu rekrutieren.[20]

Angesichts des Pressewirbels ruderte Bondeson in einem Interview mit der BBC am 28. Mai 2011 zurück und beklagte, dass seine Arbeit durch die Presse „trivialisiert“ worden sei. In den 1930er Jahren habe es zwar eine wachsende Zahl von tierpsychologischen Schulen gegeben, die von den Nazis, besonders Hitler, gefördert und im Hinblick auf mögliche militärische Verwendung geprüft worden seien. „Aber das ist eine Million Meilen weit entfernt von den täglich wilder werdenden Behauptungen der Presse, dass die Nazis über eine Legion von sprechenden Hunden mit MGs verfügten, die kurz davor standen, auf die Alliierten losgelassen zu werden.“[21]

Während der Presse-Hype kurzlebig war, hat der Mythos von den „sprechenden Hunden der Nazis“ auf einer Reihe von Internet-Seiten überlebt.[22]

  • Britt von den Berg: Die „Neue Tierpsychologie“ und ihre wissenschaftlichen Vertreter (von 1900 bis 1945). Tenea Verlag, Bristol/Berlin 2008 (zugleich veterinärmedizinische Dissertation, Tierärztliche Hochschule Hannover 2008), ISBN 978-3-86504-258-3 (Digitalisat, PDF, 8,1 MB) (mit Foto von Schmidt und ihren Hunden auf S. 124)
  • Jan Bondeson: Amazing Dogs. A Cabinet of Canine Curiosities. Amberley, Stroud 2011, ISBN 978-1-84868-946-6

Einzelnachweise

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  1. Im Aufsatz von Max Müller (siehe unten) und ihm folgend in der Dissertation von Britt von den Berg und anschließend bei Bondeson und in der englischen Presse wird der Name fälschlich „Schmitt“ geschrieben.
  2. a b c d Thomas Spanier: Hunde-Grete aus Leutenberg macht Karriere in England. In: Ostthüringer Zeitung, 28. Mai 2011, S. 17 (Lokales/Saalfeld), Digitalisat bei wiso.net (nur für Abonnenten)
  3. a b c d Thomas Spanier: Die Hundeflüsterer. In: Ostthüringer Zeitung, 4. Juni 2011, S. 16 (Lokales), Digitalisat bei wiso.net (nur für Abonnenten)
  4. Universität München: Vorlesungsverzeichnis für das Sommersemester 1942 (PDF, 5,1 MB), S. 57
  5. Max Müller: Über das Sprechen von Tieren in Wortbegriffen des Menschen. Die Leutenberger Tier-Sprechschule ASRA. In: Tierärztliche Mitteilungen 24 (1943), Nr. 7/8, S. 71–72
  6. Britt von den Berg: Die „Neue Tierpsychologie“ und ihre wissenschaftlichen Vertreter (von 1900 bis 1945), S. 119–120
  7. Max Müller: Über das Sprechen von Tieren in Wortbegriffen des Menschen, zitiert nach Britt von den Berg: Die „Neue Tierpsychologie“ und ihre wissenschaftlichen Vertreter (von 1900 bis 1945), S. 125
  8. Max Liedtke (Hrsg.): Für Hitler erzogen? Briefe und Notizen des Edgar Winzen aus der Kinderlandverschickung Leutenberg in Thüringen 1944/45. Waxmann, Münster u. a. 1999, ISBN 3-89325-765-9, S. 78
  9. Thomas Spanier: Augenzeuge zu Hundeschule. In: Ostthüringer Zeitung, 31. Mai 2011, S. 13 (Lokales/Saalfeld), Digitalisat bei wiso.net (nur für Abonnenten)
  10. Abgebildet auf der Website supercurioso.com.
  11. Unklar ist, ob Margarethe Schmidt identisch ist mit der laut Sterbeurkunde des Standesamts Berlin-Tempelhof Nr. 1105/1969 am 13. Dezember 1900 in Leutenberg geborenen und zwischen dem 3. und 5. Mai 1969 in Berlin-Mariendorf verstorbenen unverheirateten Opernsängerin Anna Emma Margarethe Schmidt.
  12. Britt von den Berg: Die „Neue Tierpsychologie“ und ihre wissenschaftlichen Vertreter (von 1900 bis 1945), S. 124
  13. Von den Berg spricht auf S. 96 ihrer Dissertation von nicht weniger als 105 „klopfsprechende[n] Tiere[n]“, die in der Zeit zwischen den Weltkriegen bekannt wurden.
  14. Jan Bondeson: Amazing Dogs. A Cabinet of Canine Curiosities, S. 57.
  15. “According to Müller, representatives of the Wehrmacht had received directions from the Führer to satisfy themselves concerning the usefulness of these educated dogs in the field.” Amazing Dogs, S. 57. Bondeson bezeichnet dabei die renommierten Tierärztlichen Mitteilungen als „Nazi-Zeitschrift".
  16. "Nazis tried to train dogs to talk, read and spell to win WW2,", in: The Daily Telegraph, 24. Mai 2011, abgerufen am 3. August 2024
  17. a b Titus Arnu: Sitz Heil! In: Süddeutsche Zeitung. 25. Mai 2011, abgerufen am 12. Juli 2024.
  18. Zum Beispiel: Howl Hitler: Nazis tried to teach dogs to talk and read, in: Daily Mail, 25. Mai 2011, abgerufen am 3. August 2024
  19. William Lee Adams: How Nazi Scientists Tried to Create an Army of Talking Dogs, in: Time, 25. Mai 2011, abgerufen am 3. August 2024
  20. Stanley Coren: The School to Teach Nazi War Dogs to Speak: Hitler wanted dogs that could communicate with their SS masters. In: Psychology Today, Canine Corner, 26. Mai 2011, abgerufen am 3. August 2024
  21. “But that's a million miles away from the press claims – which get taller by the day – that the Nazis had a legion of talking, machine-gun-toting hounds, on the point of being unleashed on the allies.” Author Jan Bondeson frowns on 'Nazi superdog' claims. In: BBC News. 28. Mai 2011 (bbc.com [abgerufen am 3. August 2024]).
  22. Zum Beispiel: Im Dritten Reich versuchte man, Hunden das Sprechen beizubringen auf kynologen.at, Attack of the Nazi Talkings Dogs auf The Museum of Unnatural History, abgerufen am 3. August 2024