MoMente dES ÜberGanGS — TieRchen und Insekten
Im aktuellen Universum von Béatrice Dreux herrscht ein wildes Gewusel und Gewaber, das jeden in seinen Bann zieht, der sich darauf einlässt. Viele der ausgestellten Werke heißen ‚Tierchen‘ oder haben das Wort ‚Spider’ in ihrem Titel. Und ja, es kreucht, fleucht und fliegt, es quakt und es wird vor allem gehuldigt: Die dargestellten Tiere sind keine einfachen Abbilder der Natur. Vielmehr wirken sie wie Trägerinnen archetypischer Gewalten. Das hängt einerseits mit den Größen der Formate zusammen, aber auch mit der Strahlkraft und Anordnung der Farben sowie dem Umgang mit dem Bildraum. Durch die Verwendung von Diminutiven wie ‚Tierchen‘ entsteht zunächst der Eindruck von Harmlosigkeit und Niedlichkeit, wie er stereotypisch gern auch in Bezug auf Frauen oder Mädchen erzeugt wird. Béatrice Dreux konterkariert jedoch bewusst diese Vorstellung, indem sie die ‚Tierchen‘, insbesondere die Spinnen als mächtige Königinnen, Muttergottheiten oder gar Totemfiguren darstellt, die auf die Betrachtenden energetisch wirken. So wie Schöpfung eines von Béatrice Dreux’ Themen ist, so ist es auch der Schöpfung Cousine, die Verwandlung, die Momente des Übergangs. Stilmittel, Motive und Sujets tauchen in ihrem Werk in adaptierter Form immer wieder auf und geben so eine neue Sicht auf ihre Themen aber auch auf ihr Medium, die Malerei.
Es tummeln sich weiße Spinnen auf blassblauen oder leuchtend rosa ins Orange kippenden Hintergründen, sowie mehrere schwarze Spinnen auf weißen oder bunten Hintergründen und eine rote Spinne, die aufgrund ihrer hochroten Farbe an weibliche Karminschildläuse denken lässt, die zur Gewinnung des selbigen Farbstoffes gebraucht werden. Neben den Großformaten gibt es auch noch weniger insektenhafte ‚Tierchen‘. Manche scheinen sich gerade in der Verwandlungsphase zu befinden, in der sie Merkmale unterschiedlicher Tierarten miteinander vereinen, wie jenes, das einerseits acht Beine hat, wie sie seine großformatigen Schwestern besitzen, anderseits einen Schnabel, wie Vögel oder tatsächlich Schnabeltiere. Diese kleinformatige Reihe der ‚Schnabeltiere‘ trägt den ‚Dreux’schen Kosmos‘ in sich – die farbigen Scheiben und Kreise, die sich regenbogenartig mit punktueller Maltechnik aus dem Zentrum ihrer Figur herausschälen. Eines dieser Tierchen möchte man als Erpel identifizieren: Nicht nur durch die spezifische Farbgebung – grüner Kopf und bräunliches Brustkleid – die ihn hier als männlichen Exoten, als Stockente ausweist, fällt er etwas, sogar sprichwörtlich aus dem Rahmen – er ist auf runder Leinwand gemalt –, mehr als die anderen, hat er eine Körperlichkeit. Er ist rücksichtig porträtiert. Das Tierchen reckt seinen Bürzel samt Anus auf herausfordernde und verführerische Weise
den Betrachtenden entgegen, als würde es sie einladen, ihm in den dunklen Kosmos zu folgen, dessen Zentrum er gleichzeitig zu sein scheint.
Wenn es Ganzkörperportraits der verschiedenen Tierchen – Spinnen und beschnabelten Tiere – gibt, dann auch solche, die im ‚Portrait‘ dargestellt sind: Nicht eindeutig identifizierbare Flugobjekte, Tierchen (Golden Minoan Insect), Tierchen (Minoan Princess) und Sunset Insect, die man nur dann als Flugobjekte wahrnehmen kann, wenn man die wunderbare Arbeit Mother and Daughter in Danger von 2021 kennt, in der zwei zartrosa Libellen-ähnliche Insekten mit blauvioletten Flügeln den ganzen Bildraum einnehmend nach rechts außen fliegen. Den Weg weist das Muttertier, unter dem die Gefahr, in Form einer Flamme, die Brenzligkeit der Situation andeutet. Dicht gefolgt von der Tochter, die dem Larvenstadium noch nahe ist. Wie dieses Mutter-Tochter-Gespann zusammengehört, zeigt auch Lonley inscet: Die Bildsprache von Mother and Daughter in Danger wird aufgenommen: Auf Béatrice Dreux’ typischem, vibrierendem schwarzen Hintergrund, der an machen Stellen klebrig, teerig scheint und an anderen in mattschwarze Fläche zieht und so eine verschlingende Tiefe erzeugt, fliegt ein einzelnes Insekt, ohne seine Flügel aufzuspannen oder aufspannen zu können durch die Weiten dieses Alls. Die schematischen Tropfen, die von jeher zum Formvokabular Béatrice Dreux’ gehören, beweinen und beregnen dieses einsame Wesen, gleichzeitig scheinen sie ihr Objekt zärtlich zu schützen und zu stützen.
Tierchen (Golden Minoan Insect) und Tierchen (Minoan Princess) kann man als Paar verstehen, da sie wie Yin und Yang die jeweilige Gegenposition einnehmen: Das Golden Minoan Insect fliegt mit goldfarbenem Körper auf dem schon bekannten klebrig schwarzen Hintergrund Richtung links, die kreisrunde, ins Pink kippende glimmernde Zunge oder Nase stößt beinahe an den Bildrand. Und man fühlt die Enge dieses Bildraumes, die Konzentriertheit dieses Seins. Das Pendant Minoan Princess fliegt mit gleicher Entschlossenheit rechts gegen den Bildraum. Es ist kosmisch-schwarz und ‚fliegt‘ auf goldenem Hintergrund. Über dem Auge geht eine violette gekringelte Linie ab, die Reminiszenz eines Fühlers. Der starke Kontrast von Gold und Schwarz erzielt einen Scherenschnitt-ähnlichen Effekt. Das Gold wirkt wie ausgeschnitten und aufgeklebt, was den Bildern eine gewisse Ornamentik verleiht und an byzantinische Ikonenmalerei erinnert. Eine weitere formale Gegenbewegung, die die beiden ‚Minoerinnen‘ zu einem schönen Paar machen, ist die Ausrichtung der bunten Dreux-Tropfen: Vertikalität und Horizontalität. So scheinen sie beim Goldenen Insekt eher zu fallen und verleihen dem gesamten Bild dadurch eine untrügliche Schwere. Bei der schwarzen Prinzessin hingegen scheinen sich die Tropfen beinahe aus ihrem Zentrum, Herzen, herauszudrehen, um dann in Flug- und Fluchtrichtung dieselbe Bahn wie die Prinzessin einzuschlagen. Ob dieses Insektenpaar auf den berühmten Bienenanhänger Die minoischen Bienen von Malia (zw. 1700 u. 1500 v.u.Z) – ein aus Gold gefertigter Anhänger mit zwei Bienen, die, einander gegenüberliegend, im Flug einen kreisrunden Honigtropfen tragen – verweist? Jedenfalls, wenn man sie als Paar betrachtet, scheinen sie Polaritäten und Wechselwirkungen von zwei grundlegenden, sich ergänzenden Kräften im Universum darzustellen. Und natürlich passen Bienen in Dreux’ Bildwelt, die mit mythologischen Bezügen spielt und sich immer wieder neu den Themen Mutterschaft, weibliche Heroinnen und Gottheiten widmet und mit demselben großen Interesse dem Tierlichen, nicht Humanen.
Sunset Insect, das die Formsprache der eben beschriebenen Minoerinnen aufnimmt, leitet uns zu den Spinnenwesen über – auch hier: Metamorphose –, denn einerseits ist Sunset Insect noch ein minoisches Flugobjekt, gleichzeitig trägt es schon in Übergröße das kreisrunde regenbogenfarbene, Pinseltupfer für Pinseltupfer gemalte Energiezentrum, das wir in abgeschwächter Form bei der Princess bereits vermuten durften.
Das führt uns zu den großen schwarzen Spinnen, die diese Ausstellung dominieren, die alle in einer oder einer anderen Form von diesem buntfarbigen, energetischen Kreis beseelt sind. Alle Spinnen sind so in den Bildraum gesetzt, dass sie das Format vollständig ausfüllen. Sie sitzen in ihren, ja, sie sind Besitzerinnen ihrer Bildwelten. Viele haben acht Beine, aber nicht alle. Jedoch haben alle dieses schematische Augenpaar, das in seiner Starrheit beinahe ein wenig herablassend, wenn nicht außerweltlich blickt. Interessant ist, dass die Spinnen in diesen Bildern auf perspektivisch unterschiedliche Weise gelesen werden können. Einerseits lassen sie sich als horizontal stehende Wesen deuten, auf deren Haupt je eine rote Krone sitzt, die den Hoheits- und Autoritätsaspekt verstärkt. Anderseits können die Spinnen in einer Draufsicht-Perspektive betrachtet werden, wodurch die Kronen wie geöffnete Mäuler mit spitzen Zähnen wirken, die gegen den Bildrand stoßen. Dieses Motiv kennen wir schon von den minoischen Insekten: das Gegen-den-Bildraum-Stoßen, -Aufbegehren. Die Ambivalenz in der Lesart der Spinnen erzeugt eine faszinierende Spannung zwischen Huldigungsgedanken und chaotischem Unbehagen, durch den Wechsel der Perspektive spielerisch auf die Formel gebracht. Formen der Verwandlung sind also nicht nur von einem Bild zum nächsten zu beobachten, sondern sind auch rein innerbildlich nachzuvollziehen. Verwandlung, oder wie man es hier konkret nennen müsste: Schöpfung, ist augenscheinlich Thema der Mother Spider. Eine schwarze Spinne sitzt vor flackernd braunem Hintergrund. Ihr ‚Kronenmund‘ ist nicht rot wie bei den anderen. Er ist weißlich und stellt formal eine Verbindung her zu den anderen Öffnungen ihres Leibes: Dem Augenweiß und der kreisrunden Fläche, die die ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht. Dicht neben- und beinahe übereinander sitzen hier kleine Spinnenkinder zusammen in der Mutterhöhle, dem Kokon. Manche haben leuchtend blaue Augen, rote Münder, scheinen nur darauf zu warten in alle Richtungen auszuströmen, ein Bein, ein Pinselstrich – Malerei ist bei Dreux in all ihren Varianten vertreten. Sie schichtet Farbe, dass sie bald pastos auf der Leinwand sitzt, gleichzeitig lässt sie durch lasierendes Übermalen
darunterliegende Farbschichten durchscheinen. Die intuitive Malweise ist stets im Wandel und entwickelt ihre Haltung und Form im Prozess. Ähnlich wie ihre Sujets, die ebenfalls in ständiger Veränderung begriffen sind.
Béatrice Dreux’ Kunst kündet einerseits von einer strengen Archaik, anderseits kippt sie ins kindlich Verspielte, dieses Changieren zweier entgegengesetzter Pole verleiht ihrem Werk eine zeitlose Qualität. Sie schafft ein mythologisches Universum, in dem feminine, tierliche und mineralische Aspekte der Natur miteinander verquickt werden. In ihrer Auseinandersetzung mit dem Medium Malerei in so unterschiedlichen Facetten schafft Dreux eine vielschichtige und ausdrucksstarke Bildsprache, die immer wieder neue Perspektiven auf ihre Themen eröffnet.